
Online-Tagebuch aus Guwahati: Straßenkinder in Indien
PRIMAX-Reporter Gerhard Bayer berichtet ...
Die große Reportage über Straßenkinder in Indien findet ihr im nächsten PRIMAX. Ihr bekommt das Heft ab 2. April bei eurer Bank.
19. März 2013
Endlich! Nach einer Zwischenlandung in der indischen Großstadt Delhi komme ich nach insgesamt zehnstündigem Flug in Guwahati an. Guwahati ist mit zwei Millionen Einwohnern die größte Stadt in Nordostindien. In den nächsten Tagen werde ich erfahren, wie das Leben der 20.000 Straßenkinder hier aussieht. 200 von ihnen haben in fünf Kinderheimen ein festes Zuhause gefunden. In einem der Heime darf ich wohnen.
Schon auf der Autofahrt vom Flughafen zum Kinderheim ahne ich, warum Nordostindien als eine der ärmsten Regionen der Welt gilt. Überall ist Schmutz und Staub. An fast jeder Straßenecke liegen Abfallhaufen, die regelmäßig verbrannt werden, weil es keine Müllabfuhr gibt. Arme Kinder und Erwachsene suchen nach Plastikmüll, um ihn zu verkaufen und so ein bisschen Geld zu verdienen. Frei umherlaufende Rinder, Ziegen, Schweine und Hunde stöbern im Müll nach Essbarem.
Endlich erreiche ich das Kinderheim. Vor dem Haus spielen ein paar Jungs Tischtennis, dazu klingt indische Popmusik aus einem Lautsprecher. Die Jungs laden mich freundlich ein, gleich morgen mitzuspielen. Abgemacht!
20. März 2013
Straßenkinder finden in den Heimen nicht nur ein Bett, Essen und Kleidung. Sie gehen auch zur Schule und lernen, was zuvor kaum einer von ihnen konnte: lesen, schreiben und rechnen. Später werden sie dabei unterstützt, einen Beruf zu erlernen und für sich selbst zu sorgen. Vielen Mädchen und Jungen fällt es anfangs nicht leicht, sich an die Regeln und den festen Tagesablauf in den Heimen zu gewöhnen. Aufstehen, Betten machen, in der Schule lernen, gemeinsam Mittag essen, Hausaufgaben erledigen und zu festen Schlafenszeiten wieder ins Bett gehen: Fast alles ist im Kinderheim geregelt. Für viele ist das nicht einfach. Aber dafür müssen sie nicht mehr wie auf der Straße jeden Tag ums Überleben kämpfen.
Einige Kinder erzählen mir, woher sie kommen und warum sich ihre Eltern nicht mehr sie kümmern. Es sind traurige Geschichten. Umso schöner ist es, dass sich diese Mädchen und Jungen im Kinderheim geborgen und sicher fühlen. Morgen werde ich ein Armenviertel am Bahnhof besuchen. An den Gleisen dort soll es sehr viele Straßenkinder geben.
21. März 2013
Im Armenviertel ist jeder Tag anstrengend: Wasser muss in Eimern vom Bahnhof geholt werden. Schmutzige Kleidung kann beim Waschen in Schüsseln nur einigermaßen sauber werden. Hemden, Hosen und Röcke hängen zum Trocknen an den Stacheldrahtzäunen entlang der Gleise. Doch vorbeirauschende Züge wirbeln Staub und Dreck hinein. Sogar Babys können nur mit kaltem Wasser gewaschen werden. Ich denke an die 200 Mädchen und Jungen in den Kinderheimen: Im Vergleich zu dieser armseligen Welt hier haben sie den Sprung ins Paradies geschafft.
22. März 2013
In den Kinderheimen erlebe ich, wie sich die jungen Deutschen für die indischen Mädchen und Jungen einsetzen: Sie helfen bei den Hausaufgaben, legen Gemüsegärten an, bringen den Kindern Karate und Tischtennistricks bei, bauen Klettergerüste und streichen Spielgeräte, Wände und Tore mit bunten Farben an. Und sie nehmen sich viel Zeit, wenn ihnen die Kinder von ihren Sorgen und Hoffnungen erzählen. Da nur einige Kinder englisch sprechen können und die Helfer aus Deutschland kein Indisch verstehen, ist manchmal nur Zeichensprache möglich.
Was Felicitas im Interview erzählt, geht mir tagelang im Kopf herum: „In Deutschland wird Armut und Reichtum vor allem an Geld und Besitz gemessen. Hier in Indien habe ich erlebt, dass Reichtum auch heißen kann: Ich bin gesund, ich kann mir einmal am Tag ein warmes Essen leisten und ich spüre Glück und Liebe in mir.“
23. März 2013
24. März 2013
Zurück in die Stadtmitte: Geschäfte mit Schaufenstern gibt es nur hier und es sind nicht einmal viele. Wer etwas verkaufen möchte oder seine Handwerksarbeit anbietet, macht das viel häufiger direkt am Straßenrand. In offenen Hütten oder an einfachen Ständen gibt es alles, was zum täglichen Leben gehört: zum Beispiel Lebensmittel aller Art, Kleider und Schuhe. Da große Betriebe mit Arbeitsplätzen selten sind, ist es für viele Menschen die einzige Möglichkeit, Geld zu verdienen.
Das war mein letzter Tag in Guwahati. Morgen fliege ich erst zurück nach Delhi. Von dort geht es dann einen Tag später wieder nach Deutschland. In der PRIMAX-Redaktion werde ich alles, was ich Nordostindien erlebt habe, ganz ausführlich aufschreiben. Und ihr könnt es in eurem Kindermagazin lesen. Bis dann!
März 2013